Vorurteile gegen Elektroautos – 10 Jahre Studium der Elektromobilität mit anschließender Professur zum Grünstrom-Doktor haben Sie vorzuweisen. Am Wochenende war es wieder soweit – der Besuch von Freunden stand an und nach dem ersten Bier entpuppten Sie sich alle zum E-Mobilitäts-Messias – BÄM! Ich fühlte mich ein wenig in die Ecke gedrängt. Nein, eigentlich saß ich in der Mitte vom Stuhlkreis und alle hakten auf mich ein. Aus diesem Grund gibt es heute meinen Schutzpanzer-Part für alle Elektroauto-Selbstverteidiger zu: man soll das Auto nicht vor dem Laden dissen – 10 Vorurteile gegen Elektroautos.

P.S.: Es gibt Koryphäen, da lohnt sich auch der Sauerstoff für die folgende Argumentation nicht – weil Sachlichkeitsresistenz vorhanden ist.

1: Elektroautos sind einfach nicht schön – Vorurteile gegen Elektroautos

Schönheit liegt ja immer im Auge des Betrachters. Mittlerweile kann man aus 34 Modellen von 23 Herstellern wählen und in den kommenden Jahren sollen (laut Verband der Automobilindustrie) über 200 Stück dazukommen. Diese Auswahl sollte ‚designtechnisch‘ einiges hergeben für ALLE ‚Betrachter‘. Hinzu kommt auch, dass die ersten E-Autos sehr futuristisch gebaut wurden und wir uns wohl oder übel erst an den Anblick gewöhnen müssen, wenn das Flügeltürauto neben dem 2006er Passat steht.

2: Elektroautos sind teuer und wartungsintensiv Teil I

Den größten Fehler, denn man bei dieser ‚Kalkulation‘ und Aussage macht ist die Betrachtungsweise.

Punkt 1: ein Elektroauto ist wesentlich langlebiger als ein herkömmlicher Diesel und rechtfertigt somit auch einen höheren Anschaffungspreis (rechnen wir Diesel gegen E-Auto könnten wir eigentlich 2 Dieselfahrzeuge gegen 1 Elektroauto rechnen).

Punkt 2: Oftmals werden die Instandhaltungskosten und dauerhaften ‚Dieselkosten‘ nicht in diese Kalkulation eingerechnet, ebenso wenig die Kosteneinsparung durch das ‚Tanken‘ vom eigenen Dach, was immense Stromkosten einspart. Unter folgendem Link könnte ihr verschiedene Fahrzeugmodelle mit einem E-Auto, Laufleistung etc vergleichen und ihr werdet ein deutlich positives Ergebnis bei den Gesamtrechnungen nach 10 Jahren sehen. Womit wir bei Punkt 3 sind, man muss eine solche Kalkulation langlebig betrachten. Wenn wir zurück zu den Kosten gehen ist noch wichtig, dass derzeit ein Umweltbonus von 4.000.-€ pro Elektroauto von der Regierung kommt, wenn das Auto nach dem 16.5.2016 zugelassen ist und den Neupreis von 60 T€ nicht überschreitet. Hinzu kommen steuerliche Vergünstigungen z.B. als Firmenwagen mit der 0,5% Regelung für alle Elektroautos. Wartungskosten sind etwa um ein Drittel geringer als bei Autos mit Verbrennungsmotoren – ganz klar, alles was kaputt gehen kann gibt es ja nicht mehr wie Bremsbeläge, Kupplung, Flüssigkeiten etc.

Vergleich Modelle Link & Kosteneinsparungen:

https://www.e-stations.de/elektroautos/kostenrechner?fahrleistung=15000&nutzungsdauer=10&preis1=20000&verbrauch1=5.2&tank1=50&sprit=Benziner&spritkosten=1.51&preis2=30000&leasing=0&foerderung2=4000&verbrauch2=12.5&akku2=22&stromkostenzuhause=0.07&stromkostenstation=0&anteil=10&eTax=0&eMaintenance=0&eInsurance=0&kTax=0&kMaintenance=0&kInsurance=0

3: Die Ladeinfrastruktur ist noch nicht gut, ich weiß nicht wo ich laden soll

Tankstellen gab es auch schon IMMER und ÜBERALL. Natürlich auch in dem Tanknetz wie heute – SCHMARRN. Gab es nicht und es ging auch. Weniger komfortabel aber wir erinnern uns an den Artikel zum Pioniergeist (hier nochmal zum Nachlesen). Zunächst muss man sich bewusst machen, dass ein E-Auto mit jeder normalen Haushaltssteckdose geladen werden kann und davon haben wir 435x mehr als Tankstellen in Deutschland. Ist das nicht grandios, ich kann also überall und zu jederzeit laden im Notfall. Die meisten Elektroautos werden bequem zuhause oder am Arbeitsplatz geladen. Unsere Autos stehen im Schnitt 23h am Tag still, davon 28% in der Garage oder beim Arbeitgeber, 60% werden nachts geparkt und weitere 12% stehen in Parkhäusern ‚herum‘ während wir unsere Wege gehen. 23h Zeit für den Ladevorgang, JEDEN TAG. Mittlerweile 12.500 öffentliche Ladestationen, außerhalb des Arbeitgebers und des eigenen Zuhauses, machen es möglich unterwegs zu laden. Mit steigender Marktdurchdringung kann das Netz sukzessive ausgebaut werden, man bedenke, dass derzeit 1,9% des gesamten Automobilmarktes Elektroautos sind. LOGISCH das die noch nicht die Ladeinfrastruktur haben wie mehrere Millionen Diesel-Autos. Was kann man also tun? Mit dem Arbeitgeber sprechen, dass er für attraktive Ladesäulen auf dem Parkplatz sorgt, ist auch toll für Besucher und Gäste. Und man sollte sich selbst Gedanken machen über den Strombezug in seinem Einfamilienhaus, denn auch der kann ‚grün‘ sein und von der Sonne kommen. Mieter? Habe ich nicht vergessen, denn auch attraktive Mieterstromkonzepte machen es möglich, den Strom vom Dach für die Ladesäule vor dem Haus für die Mieter zu nutzen.

4: Das Laden vom Elektroauto dauert mir zu lang

Ja, das Laden eines Elektroautos dauert heute noch länger als der Zwischenstopp an der Tankstelle mit dem Verbrenner ABER dieser Zwischenstopp fällt zukünftig weg, weil mein Auto in der Zeit lädt, in der ich arbeite, einkaufe, schlafe. Man sagt, der Deutsche hat einen durchschnittlichen Arbeitsweg von 25km (Hin – und Rück) sowie durchschnittlich 15km ‚organisatorische Fahrten‘ pro Tag zu erledigen. Das macht in Summe 40km pro Tag und 200km pro reguläre Arbeitswoche. Eine Reichweite von 200km weisen derzeit auch die kleinen Elektroautos auf (aus eigener Erfahrung, der Renault Zoe hat 260km) d.h., dass man theoretisch nur 1x in der Woche laden muss. Hinzukommt die massive Weiterentwicklung der Schnell-Ladesysteme. An einem Schnelllader ist ein Fahrzeug in 20 Minuten fast vollständig aufgeladen und die meisten Elektroautos schaffen in 1h Ladezeit zwischen 25%-40% ihres Ladebedarfes. In wenigen Jahren wird der Ladevorgang nur noch wenige Minuten in Anspruch nehmen, bis dahin müssen wir uns damit begnügen, in Stillstandzeiten zu laden oder einen Schnell-Lader aufzusuchen. Was auch hilft ist Einfaches planen, dann bekomme ich keine Hektik, wenn auf einmal meine Batterie leer ist. Einfach 1-2 Tage vorausschauend denken, was habe ich vor und wo will ich hin?

Ist euch das zu anstrengend? Naja, das Smartphone hängt ihr auch jeden Abend ans Kabel dran und mit dem Auto geht das nicht?

5: Elektroautos sind keine Allroundfahrzeuge und nur bedingt ‚reisefähig‘

Korrekt ABER ich bitte auch hier kurz darüber nachzudenken, dass auch der erste Benz Motorwagen noch nicht vergleichbar mit einem T5 oder einem Kombi war. Aber Gott sei Dank wissen wir alle, dass es diese Modelle heute gibt für jede Alltagssituation. Die längeren Ladezeiten beschränken derzeit eine weitere Reise, dass ist richtig. Aber auch hier muss man nur um die Ecke denken. Längere Urlaubsfahrten können mit Carsharing, Mietwagen etc. umgesetzt werden (den Nachhaltigkeitsgedanken sollte man auch im Urlaub nicht abschalten). In fast jedem Hotel kann man mittlerweile Strom tanken, sodass das Auto auch hier nachts laden kann. UND ich kann ebenfalls meinen Ladestopp mit einem Essen, Besuch einer Stadt oder Freunden verbinden. ENTSCHLEUNIGUNG ist das Stichwort, dass wir hier manchmal dringend brauchen. So kommt der Urlaub noch eher bei uns an. Auch eine Variante sind Hybridfahrzeuge, die es mir ermöglichen Langstrecken als Diesel / Benziner zu fahren und kleine Strecken im Urlaub (zum Beispiel zum Skilift) dann rein elektrisch. Ich muss also auch im Urlaub nicht auf mein Elektroauto verzichten.

6: Reichweiten sind für den Alltag noch zu gering

Hier kann ich aus eigener Erfahrung sprechen und sagen: 260km reichen vollkommen aus für den Alltag ohne Besonderheiten. Denn im Schnitt werden in Deutschland pro Tag 40km mit dem PKW zurückgelegt. In ganz Europa fahren 80% der Menschen nicht mehr als 80km pro Tag (liegt an der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Großstädten). Nur 4% der Deutschen fahren täglich mehr als 160km. Wenn ich also ein Elektroauto habe mit 260km Reichweite und eine Ladeinfrastruktur Zuhause ODER am Arbeitsplatz, dann sind selbst Strecken von 100km pro Tag (bspw. Als Pendler) bereits machbar. Komischerweise erzählen uns immer alle die wir treffen, Sie gehören zu den 4%!

7. Elektroautos verursachen mehr CO² als Verbrenner

Dieses Vorurteil kursiert schon lange. Mit Schlagzeilen wie: „die Produktion einer einzigen Batterie macht die Ökobilanz jedes E-Autos zunichte“ versucht man hier gezielt gegen Elektroautos zu werben. Warum ist dem nicht so? Ganz einfach, auch hier muss man sind 2 Punkte anschauen:

1: Wie wird das Fahrzeug produziert?
2: Wie wird es betrieben?

Die Produktion von Akkus etc. kann eine Menge CO² Ausstoß bedeuten, dass ist richtig. Hier kommt es aber auf den Hersteller an, denn ein Großteil der Hersteller achtet (wie auch bei Solarmodulen) darauf, Strom aus erneuerbaren Energien zu verwenden und den ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten bzw. zu kompensieren. Die Produktion der Tesla Batterien ist beispielsweise komplett CO² neutral. Erst schlau machen, dann urteilen.

Ich hatte bereits in einem anderen Artikel darauf hingewiesen, dass der Schlüsselpunkt bei der Ökobilanz eines Elektroautos, die richtige Stromquelle ist. Hier seht ihr im Vergleich den Ausstoß pro voller Ladung an CO²:

CO²-Ausstoss von E-Autos beim Laden von Strom aus:
Steinkohle: 162g, Deutscher Strommix: 107g, Strom aus 100% Erneuerbaren Energien: 5g

zum Vergleich der CO²-Ausstoss anderer Antriebe:
Benzin: 133g / Diesel: 132 g / Biodiesel: 71g / Bioethanol: 41g

Es stellt sich also die Frage ab wann ein Elektroauto wirklich ‚öko‘ ist. Auch hierzu gibt es eine Tabelle vom ADAC der unterschiedlichen Klassen und den Betrieb mit Strommix und erneuerbaren Energien vergleicht.

E-Auto_Vergleich_Liste ADAC

Quelle: ADAC August, 2018

Fazit: wirklich öko und nachhaltig wird der Betrieb eines Elektroautos erst, wenn ich es mit ‚grünem‘ Strom betreibe. ACHTUNG: es gibt derzeit nur wenige ‚reine‘ Stromanbieter. https://www.oekostromanbieter.org/uebersicht.html

8. Wenn alle elektrisch fahren haben wir kein stabiles Netz mehr

Und das ist jetzt wirklich witzig DENN 1 Mio. Elektroautos benötigen nur 0,3 % (2 Mrd. kWh) Strom der Gesamtstromproduktion in Deutschland. Alleine alle Stromquellen aus erneuerbaren Energien in Deutschland (die bis 2030 prognostiziert sind) können in Zukunft 40 Millionen Elektroautos mit Strom versorgen. Auch interessant eine McKinsey Studie dazu, die sagt, dass bei 40% Marktanteil an Elektroautos in 2050 nur ein 4% höherer Leistungsbedarf durch das Netz benötigt wird (ca. 20 Gigawatt). Also keine Angst, unser Netz wird nicht zusammenbrechen, weil auf einmal alle E-Autos laden müssen.

Mc Kinsey Studie Netzbedarf Elektroautos

Quelle: Quelle: McKinsey Studie https://www.mckinsey.com/industries/automotive-and-assembly/our-insights/the-potential-impact-of-electric-vehicles-on-global-energy-systems

9. Der Umstieg auf E-Mobilität kostet Arbeitsplätze und einen ganzen Wirtschaftszweig

Wie war das gleich mit dem Fachkräftemangel? Egal, schauen wir uns die Fakten an:
Zahlreiche Arbeitsplätze hängen hier an der Produktion und Zulieferung in der klassischen Automobilindustrie. Man rechnet derzeit mit einem Wegfall von 50.000 Arbeitsplätzen in Deutschland, durch die Einsparung der klassischen Komponenten für Verbrenner. ABER man rechnet auch mit weltweit 250.000 neuen Arbeitsplätzen, die im Bereich Elektromobilität entstehen (man darf nicht vergessen, dass Schiff-, Luftfahrt etc. auch hinzugehören). Was hilft also? Mehr Innovation in Deutschland und die Sicherung der Marktanteile für wichtige Schlüsselkomponenten in der Zukunft sichern. So würde man erreichen, dass ein führender Markt in einen anderen übergeht und Arbeitsplätze schafft. ABER Deutschland hätte bereits 2010 mit einer klaren Positionierung beginnen müssen um als Leitmarkt für die Elektromobilität zu fungieren. Das haben wir verpasst, der Ball liegt derzeit in Asien und den USA.

Quelle: Fakten stammen vom Bundesverband für Elektromobilität

10: Das Konzept des Elektroautos steckt noch in den Kinderschuhen

Hallooooooo? Bevor es jemals einen Verbrenner gab, gab es das erste Elektrofahrzeug im Jahr 1830 – eine vierrädrige Elektrokutsche. Erst im frühen 20. Jahrhundert wurden E-Fahrzeuge verdrängt von Verbrennern. Warum? Stichwort: Industrialisierung: höher, schneller, weiter, gigantischer, umweltschädlicher. Kleiner Scherz – aber genau das konnte Öl und Diesel an der Stelle. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie unsere Welt aussehen würde ohne diese Denkweise. Man mag sich nicht ausmalen wie schön es wäre, wenn wir zu einer Denkweise zurückkehren, die da heißt: langsamer, bewusster, menschlicher, gesünder. Die Konzepte stecken nicht in den Kinderschuhen, im Gegenteil. Elektroautos sind alltagstauglich, wie wir mehrfach aufgezeigt haben. UND JA, Ausnahmen bestätigen die Regel!

MERKE: Man soll das Auto nicht vor dem Laden dissen!

Load in and chill out!
Eure Anja

P.S.: Was ist besser als ein Elektroauto? Zu Fuß gehen und Fahrrad fahren :-)