Jetzt reden wir mal Tacheles. Nach 750km mit dem Elektroauto wurde ich in dieser Woche konfrontiert mit echtem Pioniergeist für Elektroautos, Zweifeln über Deutschlands Zukunft, AHA-Momenten UND der panischen Reichweitenunsicherheit im Gehirn. Ich werde heute von der blumigen Verliebtheit abschweifen und schonungslos ehrlich sagen, was suboptimal funktioniert und wo, für mich, die ersten Ecken und Kanten liegen. Mit dabei, ein paar witzige Fails auf meine Kosten.

Kennt ihr das, wenn LKW-Fahrer oder Motorrad-Fahrer sich grüßen, die sich nicht kennen? Einfach weil Sie einer ‚Gruppe‘ oder ‚Gang‘ angehören? Das machen Elektroauto-Fahrer auch – WHOOP, WHOOP! Ich wurde diese Woche von einem anderen Renault Zoe in Erfurt gegrüßt und freute mich so sehr darüber, dass ich jubelnd Nachhause fuhr. Später sollte ich erfahren, dass ich aufgenommen bin, in den Kreis der Elektroauto Pioniere.

Deutschlands Pionierproblem? Sicherheit, Logik, Struktur, Komfortzone!

Ich merke in den letzten Wochen wie sich 2 Lager auftun, wenn ich über meine Elektroauto spreche. Die begeisterten Vorwärtsgeher und die Neinsager, Schlechtredner und Vorurteilsnachplapperer. Die Dinosaurier (älter als 65) lassen wir mal gänzlich aus und vor. Warum tut sich Deutschland so schwer mit der Elektromobilität, während Länder wie Norwegen im Vergleich 20% Marktanteil aufwarten? Ein Erklärungsversuch kam mir auf der Fahrt nach Weimar: Länder wie Norwegen & Frankreich haben Tempolimits auf den Straßen bspw. 80 außerhalb von Ortschaften und max. 100 auf Autobahnen. Das trägt natürlich dazu bei, seinen Verbrauch zu minimieren und mit einem Elektrofahrzeug tolle Reichweiten zu erzielen. Wenn ich meinen Zoe auf die Autobahn schicke, dann ist auch rechte Spur und 100km/h Tempomat angesagt, ansonsten schaffe ich es womöglich nicht ohne Zwischenladen an mein Ziel anzukommen. Und das fiel mir verdammt schwer, weil ich es liebe mit dem Auto auch mal schneller zu fahren und vorwärts zu kommen. Ich denke, dass beschäftigt die Deutschen Männer und Frauen, weil der Spaßfaktor mit einem bezahlbaren Auto (Renault Zoe ab 21.900.-€) nicht wirklich groß ist. Stellt sich die Frage: ist unser kurzzeitiger Spaß wichtiger als eine gesunde Zukunft für unseren Planeten?

Ansatz Nr. 2 der mir in den Kopf kam. Der Deutsche liebt Sicherheit, Struktur, Ordnung, Pünktlichkeit und möchte wissen was er für sein Geld bekommt. Ein Elektroauto kann dem Deutschen in einer Sache keine 100% Sicherheit geben: wie weit komme ich mit dem vollen Akku. Wobei der Diesel das auch nicht kann, wenn ich ihn mit Vollgas fahre aber da hat er den Vorteil der ‚Tankgröße‘. An der Stelle heißt es: NEU ist schlecht und unsicher und funktioniert automatisch schlechter. Wenn man bedenkt, dass erst seit 1990 wieder effektiv an der Weiterentwicklung von Akkus etc. geforscht wird, es 2008 einen Durchbruch für den Massenmarkt gab (mit Tesla), dann sind wir heute verdammt weit. Und dann ist „NEU“ der einzig richtige Weg. Mal als Anmerkung. Wir haben als Jugendliche alle bei unserer Schwalbe den Tank geschüttelt um zu horchen wie weit wir noch kommen – erinnert ihr euch?

Am Elektroauto Pioniergeist festhalten auch wenn es ungemütlich wird

Als ich diese Woche eine Freundin mitnahm (fährt selbst Hybrid) öffnete Sie mir ein stückweit die Augen. Ich zog erstmal über das Elektroauto her, weil: kalt, 90 auf der rechten Spur, Reichweitenangst, Ladesäule besetzt und so weiter. Ihre Antwort war: „Anja, das gehört zum Pioniergeist des elektrischen Fahrens dazu und nur so kommt die Elektromobilität vorwärts und wird wachsen. Du bist jetzt auch im Club der Pioniere. Mach was draus.“ Ich war inspiriert und die Worte gingen mir lange durch den Kopf. Alles was ich euch oben beschrieben habe: mein Komfortdenken, meine Angst der Reichweite und Co. ist das klassisch Deutsche Anti-Pionier-Verhalten, weswegen unsere Innovationskraft seit Jahren sinkt. Das ist eigentlich alles, dem ich selbst vor Jahren abgeschworen hatte um mit meiner Firma und als Mensch vorwärtszukommen. Ich erinnerte mich daran, dass die Menschen, die unsere Welt in der Vergangenheit gestaltet haben und gestalten werden, die waren und sind, die nicht mit dem Strom schwimmen. Und genau darauf vertraue ich und schließe mich mit einer großen Portion Idealismus an.

Meine Elektroauto Fails in Woche 3 – einer muss sich ja zum Ei machen…

Bitte nicht lachen, denn genau diese Dinge sind mir passiert. Man sollte aufgrund der Geschehnisse nicht auf meinen IQ schließen, denn ich denke, mindestens 70% der Elektroauto-Neulingen, wäre es genauso gegangen, würde man hier nicht eines Besseren belehrt. Also schön aufpassen!

Das Ladekabel des Elektroautos und ich…

Nach dem ersten Laden wollte ich das Kabel am Auto und der Ladestation abziehen und zog daran. Das ging aber sehr schwer. Mein Kollege sagte: zieh mit Kraft. Ich dachte aber: was leicht reingeht muss auch leicht rauskommen. Irgendwann fand ich einen Knopf auf meinem Autoschlüssel mit einem Stecker darauf und drückte ihn. Es macht klack, klack UND die Kabel waren entriegelt zum Abziehen. Merke: die Anschlüsse verriegeln automatisch bis man Sie entsperrt. Verdammt schlau, sonst könnte ja jeder mein Laden unterbinden oder mein Kabel mitnehmen.

Die Heizung im Elektroauto und ich…

Bei derzeitig herbstlichen Temperaturen von 3- 10°C macht man dann gerne mal die Heizung im Auto an. Ich musste Lernen, dass die Heizung massiv am Akkustand zieht UND sie sehr lange braucht bis sie warm wird (so war es bei mir). Ergo: man sollte im Elektroauto immer eine Jacke dabeihaben und seine Mitfahrer vorher informieren. Bevor wir meckern erinnern wir uns bitte an das Thema Pioniergeist und Perfektionismus was ich vor 3 Zeilen angesprochen habe. Ja, erst guckt man doof, dann denkt man nach, dann ist es etwas Besonderes.

Wenn die Ladestation für das Elektroauto besetzt ist…

Lieber Vermieter, liebe Stadtwerke und Infrastrukturbauer – die Mobilitätswende geht nur mit euch. Ich wollte diese Woche das Elektroauto Abends an der Säule laden die 200m von meinem Haus entfernt ist. Der Plan war gut, die Durchführung scheiterte daran, dass ein anderes Auto die ganze Nacht dort geladen wurde. Pustekuchen! Ich fuhr also heim und schleppte mich am kommenden Tag mit 4% Akku an die Ladesäule auf Arbeit. In diesem Moment kein wirkliches Problem, kann aber zu einem werden, wenn ich in einem Dorf bin mit einer oder zwei öffentlichen Ladestationen und ich dringend laden muss. Oder stellt euch vor zu Ferienzeit müssen 50 Urlauber gleichzeitig laden. Gott sei Dank haben wir in den letzten Jahren einen so immensen Sprung gemacht was die Ladezeiten betrifft und die ‚Stärke‘ der Ladesäulen, dass wir in 5-8 Jahren sicher problemlos schnell laden, wie wir früher getankt haben. Jetzt sagt die Anja wieder ich muss 8 Jahre warten, die Systeme sind also noch nicht alltagstauglich. DOCH – wir denken bitte an den Pioniergeist und die Innovationskraft und ihr ertappt euch gerade selbst beim ‚Deutsch‘ sein. Ich zeige euch ja, dass es funktioniert!

Fazit Woche 3 mit dem Elektroauto

Ich bin immer heile von A nach B gekommen und konnte bisher alle Strecken meistern. Das ein Umdenken her muss und man kleine Einschränkungen besser mit Humor übersteht als Argwohn, macht die Elektroauto Pioniere wohl aus. Es ist gesunder Menschenverstand, dass ich laden muss, so wie ich früher tanken musste. Ich muss mich also nur auf die aktuellen Gegebenheiten einstellen und mich daran gewöhnen. Das ist mit WILLEN und UMDENKEN verbunden und auch NEUGIER!

1,9% machen die Elektroautos im Gesamtmarkt in Deutschland aus (Meldung vom 24.10.2018). Ich bin froh zu den 1,9% der Pioniere zu gehören und nicht zu den 98,1% der Kaiser Wilhelms.

Der sagte nämlich 1904: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“

Alle Veränderungen sind mit Einschnitten verbunden, wir sollten uns aber immer bewusst machen WOFÜR wir diese Einschnitte in Kauf nehmen und in den ersten Elektroauto-Modellen frieren. Damit wir nachhaltig die Zukunft gestalten und ‚grün‘ unseren Mobilitätsweg gehen, damit wir Alternativen schaffen, die unsere Kinder und Enkelkinder nutzen können. Wem sein Komfort, der Geruch und der Sound an der Stelle wichtiger ist als die Zukunft seiner Kinder – sollte sich darüber Gedanken machen, warum sich die Prioritäten in unserer Gesellschaft von Natur und Leben hin zu Konsum, Geld & Macht entwickelt haben. Wir haben noch knapp 10 Jahre, in denen wir die Zukunft zum Positiven ändern können – packen wir es an und hören wir auf rumzuheulen mit unseren ‚First World Problems‘.

Im Elektroauto stirbt und erfriert keiner, diese Fahrzeuge sind für alle Menschen gemacht und erfordern keinen Uni-Abschluss zur erfolgreichen Bedienung. Es erfordert lediglich den Willen die aktuelle Welt zu hinterfragen und weiterzuentwickeln – echten Pioniergeist eben.

Load in and chill out
#maxxeblog

Anja